Athalia

Georg Friedrich Händel


Aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein doch eher weniger bekanntes Werk Händels handelt, können Sie hier einen kurzen Artikel darüber lesen. Der Beitrag wurde von Dr. Julian Christoph Tölle verfasst, der auch das Konzert in der Meistersingerhalle Nürnberg geleitet hat (siehe Referenzen). Er stellte den Artikel freundlicherweise für die Veröffentlichung an dieser Stelle zur Verfügung. Bitte beachten Sie, dass sämtliche Rechte beim Autor liegen.



ährend Georg Friedrich Händel (1685-1759) durchaus erfolgreich von 1710-12 als Hofkapellmeister in Hannover wirkte, faszinierten ihn doch längst die Musik und vor allem die Theater Englands. Seine Urlaube nutze er daher vorwiegend, um immer wieder in diese Welt einzutauchen. Nachdem er 1711 schließlich mit seiner Oper Rinaldo in London völlig überraschend einen großen Erfolg landen konnte, entschloss er sich dazu, ganz nach London zu ziehen. Händel schaffte es tatsächlich rasch und (zunächst) anhaltend beeindruckende Erfolge an den Londoner Theatern zu feiern. 1720 gründete er das Königliche Opernhaus, die Royal Academy of Music, dessen (auch wirtschaftlicher) Erfolg bis 1728 ungebrochen anhielt - das berühmte Covent Garden wurde erst 1732 und zwar zunächst als Schauspielhaus gebaut. Händels Opern waren dermaßen erfolgreich, dass er 1727 als Akt der Anerkennung sogar eingebürgert wurde. Ausgelöst durch die konkurrierende „Volksoper“ The Beggar’s Opera von Pepusch/Gay im Jahr 1728 nahm in London das Interesse des Publikums an der eher aristokratischen italienischen Oper schlagartig ab, so dass selbst Händel – trotz seiner Meisterwerke Alcina und Ariodante aus dem Jahr 1735 – unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu leiden hatte. Ende der zwanziger Jahre wandte sich Händel daher verstärkt dem Oratorium zu und entwickelte auf der Grundlage des italienischen (durch Carissimi vertretenen), des älteren lutherisch-deutschen (Vorbild Schütz), sowie des neueren deutschen (durch Bach repräsentierten) Oratoriums diese Gattung entscheidend weiter. Geprägt durch die englische Tradition der Chormusik (man denke an Byrd, Tallis oder Purcell) und deren Ästhetik gestaltete Händel in einzigartiger Stringenz seine oratorischen Dramen, so dass in diesen Werken schlechthin das gattungstypologische Idiom geschaffen wurde.

Nach Esther (1732) gilt Athalia als das zweite Hauptwerk dieser relativ frühen oratorischen Schaffensphase (Saul, der Messiah etc. entstanden etwa 8-10 Jahre später). Von 1732-52 schuf Händel wenigstens 20 große, repräsentative Werke dieser Gattung. Dabei fällt besonders auf, dass Händel die Vertonung alttestamentlicher Stoffe bevorzugte. Die Librettisten waren allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität, so dass heutzutage leider einige Texte als „ungenießbar“ (Metzler Musik Chronik) gelten. Athalia entstand als ein Oratorium in drei Akten von April bis Juni 1733. Am 9. Juli 1733 sollte es anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Händel in Oxford quasi als Dank zur Uraufführung kommen. Die Verleihungsmodalitäten zogen sich wegen der offensichtlich großen Anzahl an Ehrendoktoren dermaßen in die Länge, dass man Händel bat, die geplante Uraufführung um einen Tag zu verschieben; kurioserweise kam es dann jedoch nicht zur Verleihung des Ehrendoktors an Händel – ob er verzichtete, möglicherweise aus Verärgerung wegen der Verschiebung oder ob man Händel kurzfristig nicht berücksichtigten wollte - bleibt bis heute ungeklärt.

Jedenfalls kam es schließlich am folgenden Tag, dem 10.7.1733, zur ersten Aufführung der Athalia. Die Titelfigur ist – von den Zauberinnen einiger Opern einmal abgesehen – die erste negative Heldin in Händels Werk. Es handelt sich um eine Episode aus der Zeit des nachsalomonischen, gespaltenen jüdischen Reiches (2 Chr 22 + 23), die um 300 v. Christus verfasst wurde: Die Geschichte der abtrünnigen, baalgläubigen Atalia, die sich nach dem Tode ihres Sohnes Ahasja brutal zur Königin von Juda gemacht hat, indem sie alle weiteren Angehörigen des rechtmäßigen Königshauses, d.h. vor allem ihre Enkel, ermorden ließ. Der jüngste Sohn Ahasjas, Joas mit Namen,
wurde jedoch von seiner Amme vor den Mördern versteckt und in Sicherheit gebracht. Das Kind wuchs schließlich bei Pflegeeltern auf. Als Joas 7 Jahre alt wurde, rief ihn das Volk unter Führung des Hohenpriesters als neuen, rechtmäßigen Königs aus und stürzte damit die bisherige Königin Atalja. Sie wurde anschließend mit dem Schwert umgebracht.

Der berühmte französische Dramatiker Jean Racine (1639-99) entwickelte aus diesem Stoff 1691 ein biblisches Drama namens „Athalie“; der Librettist Samuel Humphreys richtete das Stück für Händel schließlich in englischer Sprache ein. „Zahlreiche freie, lediglich an der emotionalen oder szenischen Situation orientierte musikalische Formen verweisen auf den experimentellen Charakter der Athalia und darauf, mit welcher Intensität Händel nach neuen musikalischen Ausdrucksformen (...) suchte.“ (Bärenreiter Oratorienführer)

Die handelnden Personen werden von Händel in erstaunlich subtil angelegten Facetten gestaltet. Dies wird etwa in folgenden Situationen deutlich: Athalias Schreckensversion (Akt 1), die kindliche Unschuld Joas oder das wunderbare Duett von Joas und seiner Pflegemutter Josabeth (Akt 2), als diese vor Angst kaum zu einer zusammenhängenden Melodie fähig scheint. Der Chor brilliert ebenfalls als Handlungsträger sowohl durch kurze affektive Einwürfe als auch mit ausladend festlichen Dankliedern. Händel entwickelt durch große chorische Szenenkomplexe und in bisweilen intim angelegten dialogischen Personenkonstellationen gleichermaßen intensiv ein dramatisches Tableau, wie es das Oratorium und selbst die Oper zuvor kaum kannten.


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